Die ewige Krise des amerikanischen Rentensystems

21. Februar 2009
Von Andrea Fischer

Von Andrea Fischer

Alle sprechen von Krankenversicherung, aber was wird aus den Renten? Wird  der Reformeifer der neuen Regierung bis in das System der Altersversorgung reichen?
In den USA wird nach wie vor der Plan von Präsident Obama, Hausbesitzern bei der Abzahlung ihrer Kredite zu unterstützen, heftig diskutiert. Was – zumindest in deutscher Unkenntnis – sich dahinter verbirgt, ist natürlich, dass eine Stabilisierung des Häusermarktes und Hilfen für die Schuldner ein wichtiger Beitrag für die Alterssicherung breiter Schichten ist. Denn der Hausbesitz ist und bleibt die gewichtigste Komponente für die Absicherung der Amerikaner im Alter, weit wichtiger als Rente und zusätzliche, selbst angesparte Alterssicherung. Man schätzt, dass Amerikaner im vergangenen Jahr etwa zehn Mrd. Dollar an Vermögen verloren haben, das betrifft vor allem ihren Hausbesitz, der deutlich an Wert verloren hat, sowie ihre Spargelder auf der hohen Kante. Von daher ist ein Plan zur Stützung der Hausbesitzer bei Ratenzahlung ein wirkungsvolles Mittel, Millionen Amerikanern bei der Vorsorge für das Alter unter die Arme zu greifen.

Das Konzept "social security"

Nicht, dass es keine andere Altersvorsorge gäbe, jeder amerkanische Arbeitnehmer ist in einem umfassenden staatlichen Rentensystem versichert und leistet dazu Beiträge, social security genannt. 12,4 Prozent des Einkommens bezahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diese Rentenkasse, die im Ergebnis den älteren Amerikanern rund 40 Prozent ihres vorherigen Einkommens an Rente zahlt. Wobei dieses System stark umverteilt, Niedrigverdiener erhalten etwa 90 Prozent ihres vorherigen Einkommens, Spitzenverdiener nur etwa 20 Prozent, eine wenig kontroverse Umverteilung. Hinter diesen Prozentsätzen verbirgt sich aber, dass von diesen Renten die Menschen in den USA alleine nicht leben können, dass sie also tunlichst noch zusätzlich sparen sollten. Was sie aber zu einen beträchtlichen Prozentsatz nicht machen oder nicht machen können.

Drei Probleme sieht Christian Weller, Politikprofessor an der Universität Massachusetts Boston und Forscher am Think Tank Center for American Progress: dass erstens nur etwa 35 Prozent aller Angestellten in der Privatwirtschaft Zugang zu Zusatzversicherungen über ihren Arbeitgeber haben, dass zweitens die Steuerunterstützung durch den Staat extreme ungleich ist, sie kommt Arbeitnehmern umso mehr entgegen, je höher ihr Einkommen ist, und dass drittens die Zusatzversicherungen einem hohen Risiko ausgesetzt sind, weil sie auf dem allgemeinen Finanzmarkt angelegt werden.

Tatsächlich gilt für viele eigentlich ordentlich verdienende Amerikaner, dass sie durch die drastische Entwertung von Vermögen auf den Finanzmärkten im vergangenen Jahr einen beträchtlichen Teil ihrer Altersvorsorge verloren haben, was im Klartext für sie bedeutet, dass sie bis zu ihrem Ruhestand länger werden arbeiten müssen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Hilfen für diese von der Krise hart getroffenen Menschen von der Regierung geplant werden. Bei allem Mitgefühl für den Einzelnen, den ein solcher Verlust hart trifft, das wird aus amerikanischer Sicht als das normale Risiko angesehen, dem das Sparen eben unterliegt.

Die Reformdebatte steht an

Etwas anderes ist es mit der social security, wo in den kommenden Jahren auf jeden Fall eine Reformdebatte zu erwarten steht. Es gibt die Verpflichtung, dass die Finanzen der social security auf 75 Jahre hinaus gesichert sein müssen und es ist bereits heute absehbar, dass in wenigen Jahren ein Defizit entstehen wird. Dieses Defizit wird aus dem Kapitalstock, der in der social security besteht, entstehen, dessen Überschüsse weniger und dann sogar ins Minus gehen werden. Es steht zu erwarten, dass eine entsprechende Reform versuchen wird, die Arbeitnehmer mit einer Mindestrente nach unten abzusichern, auch Ansprüche von Ehepartnern vorzusehen und dies alles zu finanzieren mit Kürzungen bei den Topverdienern sowie einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze.

Diese Debatte wird auf jeden Fall kommen und zwar in der ersten Amtszeit der Obama-Regierung. Auch wenn die Healthcare-Reform Priorität hat. Dies vor allem, so Christian Weller, weil die großen staatlichen Systeme Medicare und Medicaid beträchtliche Kostenprobleme haben, die sich bald in erforderlichen höheren Zuschüssen äußern werden, wenn nicht auf der Kostenseite etwas geschieht. Es ist vollkommen klar, dass das beträchtliche Konflikte sowohl mit den Ärzten als auch mit der Pharmaindustrie mit sich bringen wird, aber auch Christian Weller ist zuversichtlich, dass die Regierung diesen Konflikt nicht scheuen wird.

Lawrence Michel, Präsident des Economic Policy Institute, dem den Gewerkschaften nahestehenden Institut, wird da noch deutlicher: Er sieht die Kräfte, die bislang immer die Stärken der freien Marktwirtschaft hochhielten, als deutlich unterlegen an; das begann schon vor der Finanzkrise. Sondern es gab immer mehr ökonomische Probleme, die den Glauben an den Segen der Marktwirtschaft untergruben. Das habe große Veränderungen bewirkt, zum Beispiel würden Gewerkschaften nicht mehr als Bollwerk des Kommunismus angesehen, sondern ihre Bedeutung werde heute wieder anerkannnt. In der organisierten Politik habe das dazu geführt, dass die Demokratische Partei insgesamt nach links gerückt sei. Deshalb sehe er reelle Chancen, dass die neue Regierung ernst mache mit ihren Ankündigungen für soziale Reformen, auch wenn er als alter Linker innerlich vorbereitet sei auf so manche Enttäuschung.

Und wieder taucht das Argument auf, dass Daschle ein Verlust für den Kampf um eine Gesundheitsreform sei. Später am Tag kommt die Meldung, dass die Regierung möglicherweise die demokratische Gouverneurin Kathleen Sebelius als Gesundheitsministerin berufen werden. Die aktuelle Regierung ist sehr zurückhaltend mit Meldungen zu ihrer Personalpolitik, so dass diese eine grosse Plausibilität hat. Sebelius hat einen hervorragenden Ruf, sowohl beruflich als auch politisch, gerade auch bei überparteilichen Verhandlungen. Lawrence Michel kann ich dazu nicht mehr befragen, ob ihre Berufung zu seinem Optimismus beitrüge.

Andrea Fischer ist Kolumnistin für den „Tagesspiegel“ und „Financial Times Deutschland“ und Mitherausgeberin der „Gesundheitsnachrichten“. Seitdem sie 2002 den Bundestag verlassen hat, arbeitet sie in leitender Position in der Kommunikationsberatung.  Von 1998 bis 2001 war sie Bundesministerin für Gesundheit.